Neulich sah ich auf Facebook ein Bild. Darauf stand: „Lass die Religion los und lebe in Jesus Christus.“ Es gibt verschiedene Gründe warum solche Dinge verbreitet werden. Religion wird dabei in den meisten Fällen als „Menschenwerk“ bezeichnet. Der Unterschied zu Jesus sieht man darin, dass der Glaube an ihn auf keinem Menschenwerk basiert. Es ist Gott, der sich dem Menschen offenbart und nicht der Mensch, der sich seinen Gott gewisserweise selbst konstruiert. Schlussfolgerung: Die Religion müssen wir hinter uns lassen und ganz auf Jesus Christus vertrauen.

Dem mag ich zwar als Christ zustimmen, trotzdem erkenne ich auch eine Gefahr bei solchen Aussagen, die Religion durchs Band hindurch als etwas „zweitklassiges“ hinstellen wollen. Ich möchte besonders auf einen Text eingehen, der mich immer wieder herausfordert. Er steht in Apostelgeschichte Kapitel 17:

Während Paulus nun in Athen auf die beiden wartete, sah er sich in der Stadt um. Empört und erschüttert stellte er fest, dass ihre Straßen von zahllosen Götterstatuen gesäumt waren, und er begann, ´mit den Leuten Gespräche zu führen`. In der Synagoge redete er mit den Juden und mit denen, die sich zur jüdischen Gemeinde hielten, und auf dem Marktplatz unterhielt er sich Tag für Tag mit denen, die er dort antraf.

Paulus ist in Athen und wartet auf Silas und Timotheus (Apg 17,15). Dabei schaute er sich die Stadt an. Was er da sah, das raubte ihm beinahe den Atem. Überall Statuen für irgendwelche Götter. Er war empört darüber. Doch und das finde ich wichtig, er führte Gespräche mit den Menschen, die er auf dem Marktplatz antraff und er sprach auch mit den Juden und mit denen, die sich zur jüdischen Gemeinde hielten. Er diskutierte auch mit den epikureischen und stoischen Philosophen. Er sprach über das Evangelium von Jesus Christus und wie ihn Gott von den Toten auferweckt hatte. Gerade diese Philosophen betrachteten Paulus als einen komischen Vogel mit komischen Weisheiten. Doch und das ist nun wirklich erstaunlich, heisst es dann weiter:

Schließlich nahmen sie Paulus in ihre Mitte und führten ihn vor den Areopag, ´den Stadtrat von Athen`. »Dürften wir erfahren, was das für eine neue Lehre ist, die du da vertrittst?«, sagten sie. »Du redest über Dinge, die uns bisher noch nie zu Ohren gekommen sind, und es würde uns interessieren, worum es dabei eigentlich geht.« ( ´Man muss dazu wissen, dass` sich sämtliche Einwohner Athens und sogar die Fremden, die sich nur vorübergehend in dieser Stadt aufhalten, ihre Zeit am liebsten damit vertreiben, stets das Allerneuste in Erfahrung zu bringen und es weiterzuerzählen.)

Die Leute in Athen waren sehr wissensbegierig und Paulus hatte ihr Interesse geweckt. Darum führten sie ihn nun vor den Stadtrat von Athen, damit er dort ihnen diese Lehre erklären würde, die er verkündet und vertritt.

Da trat Paulus vor die Ratsmitglieder und alle anderen, die zusammengekommen waren, und begann: »Bürger von Athen! Ich habe mich mit eigenen Augen davon überzeugen können, dass ihr außergewöhnlich religiöse Leute seid.  Als ich nämlich durch die Straßen eurer Stadt ging und mir eure Heiligtümer ansah, stieß ich auf einen Altar mit der Inschrift: ›Für einen unbekannten Gott‹. Ihr verehrt also ´ein göttliches Wesen`, ohne es zu kennen. Nun, gerade diese ´euch unbekannte Gottheit` verkünde ich euch.

Als Paulus in Athen zu den Leuten sprach und sagte „Bürger von Athen! Ich habe mich mit eigenen Augen davon überzeugen können, dass ihr außergewöhnlich religiöse Leute seid.[…]“, meinte er das etwa negativ? Ich glaube eher nicht. Er rechnete ihnen an, dass sie sich mit diesen Dingen auseinandersetzten, auch wenn er zuvor innerlich zerrissen war und ihn dieser ganze Götterkult aufwühlte. Diese Menschen dort hätten sicherlich schnell gemerkt, wenn er herablassend mit ihnen gesprochen hätte, im Sinne von: „Ihr seid religiös, ich habe Christus.“ Er setzte sich vielmehr mit ihnen und ihrem Denken in der Versammlung (der Synagoge) und auf dem Markplatz auseinander. Er findet dabei einen Anknüpfungspunkt. Die Griechen verehrten hunderte und tausende von Götter. Jeder dieser Götter hatte eine bestimmte Funktion. Es gab einen Gott für das Reden, einen anderen für den Blitz, einen für den Donner, ein weiterer für die Liebe. Doch bei diesem grossen Götter-Olymp hatten sie dennoch Angst, sie könnten irgend einen Gott vergessen und ihm daher nicht die Ehre erweisen, bzw. diesen nicht gnädig stimmen. Und so wurde ein Altar diesem „unbekannten Gott“ geweiht, den man dann auch noch verehrte, wie die andern. Genau da setzt Paulus an und führt sie hin zu diesem Gott, den sie nicht kennen.

Ich denke wir (und da schliesse ich mich ein) sind irgendwie faul geworden diese Anknüpfungspunkte zu suchen, stattdessen betonen wir gerne die Unterschiede, hier das gerecht werden zu wollen durch eigene Werke oder Christus der uns befreit. Warum schaffen wir es also nicht, diesem religiösen Bestreben der Menschen auch mal positives abzugewinnen? Warum schaffen wir es nicht positives abzugewinnen, wenn jemand versucht Gott (oder wie er oder sie eine höhere Macht auch nennen mag) näher zu kommen und dabei auch (hohe) moralischen Überzeugungen hat? Klar und das wissen wir, diese Dinge werden sie nicht retten, sie brauchen Christus. Doch vielleicht müssen wir umdenken und Religion nicht als Übel dieser Welt sehen, vielmehr erkennen wir doch, dass die Sehnsucht des Menschen nach diesem „übernatürlichen“ Dingen, nach Spiritualität gross ist. Da sollten wir anknüpfen und den Religions-Begriff vielleicht wieder etwas neutraler und positiver zu sehen, wie es Paulus tat, zumindest dann wenn wir uns „bibeltreu“ nennen wollen. Wir können uns ja auch fragen, warum der Mensch denn überhaupt so religiös ist? Eine mögliche Antwort finde ich im Alten Testament, genauer gesagt im Buch des Predigers, wo es heisst:

Er hat alles schön gemacht zu seiner Zeit, auch hat er die Ewigkeit in ihr Herz gelegt; nur dass der Mensch nicht ergründen kann das Werk, das Gott tut, weder Anfang noch Ende. (Prediger 3,11)

Was bedeutet denn, dass Gott die Ewigkeit in ihr Herz legte? Meine Interpretation: Gott hat uns die Sehnsucht nach ihm und nach dem Himmelreich ins Herz gelegt. Trotzdem kann es der Mensch aus sich heraus nicht wirklich ergründen. Der Mensch sehnt sich also nach Gott und das ist ja schon mal positiv. Er versucht also Gott (oder wie er diese übernatürliche Macht auch nennen mag) zu erfahren, zu erkennen, er sehnt sich nach der Ewigkeit, nach einem ewigen Leben. Ist das alles negativ, was diese Menschen eigentlich wollen?

Schlussgedanken

Ich will nochmals auf die Aussage am Anfang zurückkommen: „Lass die Religion los und lebe in Jesus Christus.“ Ich denke diese Forderung bringt ziemlich wenig. Ein Mensch kann sich sagen: „Warum sollte ich meine Religion hinter mir lassen? Ich erkenne doch viel gutes in ihr und sie gibt mir halt.“ Vielmehr müssen wir mit den Menschen über Jesus Christus sprechen, wir müssen ihnen erklären, was er für uns getan hat. Das sollten wir in der Sprache der Zuhörer tun. Damit meine ich nicht nur die eigentliche Sprache (Deutsch, Französisch, Italienisch, etc.). Es geht besonders darum, das Weltbild des Gegenübers zu verstehen und dann an diesem so anzuknüpfen, dass das Evangelium verstanden wird. Paulus schrieb dazu:

Ich bin also frei und keinem Menschen gegenüber zu irgendetwas verpflichtet. Und doch habe ich mich zum Sklaven aller gemacht, um möglichst viele ´für Christus` zu gewinnen. Wenn ich mit Juden zu tun habe, verhalte ich mich wie ein Jude, um die Juden zu gewinnen. Wenn ich mit denen zu tun habe, die dem Gesetz des Mose unterstehen, verhalte ich mich so, als wäre ich ebenfalls dem Gesetz des Mose unterstellt (obwohl das nicht mehr der Fall ist); denn ich möchte auch diese Menschen gewinnen. Wenn ich mit denen zu tun habe, die das Gesetz des Mose nicht kennen, verhalte ich mich so, als würde ich es ebenfalls nicht kennen; denn auch sie möchte ich gewinnen. (Das bedeutet allerdings nicht, dass mein Leben mit Gott nicht doch einem Gesetz untersteht; ich bin ja an das Gesetz gebunden, das Christus uns gegeben hat.) Und wenn ich mit Menschen zu tun habe, deren Gewissen empfindlich ist, verzichte ich auf meine Freiheit, weil ich auch diese Menschen gewinnen möchte. In jedem einzelnen Fall nehme ich jede nur erdenkliche Rücksicht auf die, mit denen ich es gerade zu tun habe, um jedes Mal wenigstens einige zu retten. Das alles tue ich wegen des Evangeliums; denn ich möchte an dem Segen teilhaben, den diese Botschaft bringt. (1. Korinther 9,19-23)

Modern ausgedrückt würde man hier von der „Kontextualisierung“ sprechen. Ich befasse mich mit dem Kontext in welchem sich meine Zuhörer befinden und rede dann möglichst verständlich über das Evangelium. Das sollte in einer möglichst positiven Grundhaltung geschehen. Menschen merken schnell, ob man sie ernst nimmt oder man ihnen etwas aufschwatzen will.