Der Psalm 23 ist wohl der bekannteste Psalm überhaupt. Er umfasst in unseren Bibeln gerade mal 6 Verse und diese haben eine enorme Tiefe, auch dann noch, wenn wir diesen Psalm schon dutzende Male gelesen und verinnerlicht haben. Ich verzichte auf eine Vers für Vers Auslegung, sondern gehe auf einige Aspekte ein, die mich an dem Psalm faszinieren.

Der Wechsel vom „Er“ zum „Du“

Die erste Faszination ist eine kleine grammatikalische Feinheit, die uns beim ersten lesen oft gar nicht so auffällt. Es ist der Wechsel vom „Er“ zum „Du“. David beginnt mit den Worten:

„Der HERR (JHWH) ist mein Hirte, darum leide ich keinen Mangel.“

Darauf folgt die Begründung dessen, warum er keinen Mangel leidet:

Er bringt mich auf Weideplätze mit saftigem Gras und führt mich zu Wasserstellen, an denen ich ausruhen kann. Er stärkt und erfrischt meine Seele. Er führt mich auf rechten Wegen und verbürgt sich dafür mit seinem Namen.

David zählt also zuerst die positiven Dinge auf. Der HERR versorgt ihn durch und durch mit allem was er braucht. Er führt ihn zu frischen Weideplätzen (im übertragenen Sinne natürlich) schenkt ihm Nahrung (Essen und Trinken, doch sicherlich auch geistliche Nahrung) und er schenkt ihm Ruhe. Er stärkt seine Seele und leitet ihn auf dem rechten Weg.

Doch dann kommt es zu diesem besagten Wechsel.

Selbst wenn ich durch ein finsteres Tal gehen muss, wo Todesschatten mich umgeben, fürchte ich mich vor keinem Unglück, denn du, ´Herr`, bist bei mir! Dein Stock und dein Hirtenstab geben mir Trost.

Haben Sie den Unterschied erkannt? David schreibt und spricht nicht mehr vom HERR und „Er…“ sondern wechselt zum „Du“ und „Dein“. Er wechselt also von der dritten Person Singular in die zweite Person Singular. Doch was bedeutet das? Vielleicht könnte man argumentieren: Im ersten Teil spricht David über Gott. Er beschreibt, wie er Gott erlebt. Im zweiten Teil spricht er direkt zu Gott. Doch ist das wirklich das was der Text aussagt? Ich denke es geht dabei noch tiefer.

Beim ganzen Psalm geht es ja um ein Gebet. Klar beschreibt David, wie er diesen Gott erlebt, doch er spricht eben auch selbst dann zu Gott, wenn er in der dritten Person Singular und damit eigentlich über ihn spricht. Also sollte es noch einen anderen Aspekt geben und den gibt es auch: Das „Du“ bringt eine besondere Nähe zum ausdruck. Wenn wir in der dritten Person Singular sprechen, dann kann sich die betreffende Person zwar in unmittelbarer Nähe befinden. Zwei Kinder können sich bei der Mutter gleichzeitig beschweren und sagen: „Er hat die Scheibe eingeschlagen!“ Und der Knabe entgegnet: „Nein sie war es!“ Doch die Person über die man spricht kann ebensogut meilenweit entfernt sein. Vielleicht geht das Mädchen allein zur Mutter und spricht über ihren Bruder, der noch in der Schule sitzt. Ganz anders ist es beim „Du“. Beim „Du“ spricht man direkt zur Person und die Nähe ist garantiert. Zumindest war das noch so, als wir noch über kein Telefon oder Handy verfügten.

Interessant ist jetzt, in welchem Zusammenhang dieser Wechsel vom „Er“ zum „Du“ stattfindet. David beschreibt das finstere Tal. Es steht wohl kein spezieller literarischer oder grammatikalischer Gedanke hinter diesem Wechsel. Er hatte dieses finstere Tal ja oft genug erlebt: Denken wir nur mal wie ihm Saul nach dem Leben trachtete, oder wie sich selbst sein eigener Sohn gegen ihn wandte. Denken wir an den Tod seines besten Freundes Jonathan. Diese Dinge haben ihn sicherlich beschäftigt und geschmerzt. David hatte ettliche Durststrecken zu bewältigen und das finstere Tal war ihm durchaus bekannt. Doch genau in diesem finsteren Tal, da verspürte er die tiefe Nähe zu seinem Hirten und genau das bringt er durch diesen Wechsel zum Ausdruck.

Der Wechsel vom Hirten zum Gastgeber

David bleibt beim „Du“ und wechselt nach dem finsteren Tal nicht wieder zurück zum „Er“. Doch es gibt nochmals ein Wechsel. Bisher war immer vom Hirten die Rede. Doch Gott erweist sich ebenfals als guter Gastgeber. Der Berufsstand ändert sich und ebenso die Location. Im Film-Business würden wir sagen: Wie begeben uns vom Aussendreh zum Innendreh.

Du ´lädst mich ein und` deckst mir den Tisch selbst vor den Augen meiner Feinde. Du salbst mein Haupt mit Öl, ´um mich zu ehren`, und füllst meinen Becher bis zum Überfließen. Nur Güte und Gnade werden mich umgeben alle Tage meines Lebens, und ich werde wohnen im Haus des Herrn für alle Zeit.

Gott lädt ein und wird somit zum Gastgeber. Doch hier geschieht erst einmal etwas merkwürdiges. Er deckt den Tisch im Angesicht der Feinde Davids. Sie müssen zuschauen, woher wird uns nicht gesagt. Dann berschreibt David, wie Gott ihn mit Öl salbt. Was die Salbung betrifft, da wusste David natürlich worum es geht. Schliesslich hatte ihn Samuel damals zum König gesalbt, er tat dies im Auftrag des Herrn. Doch David denkt dabei an Gott, der ihn mit Öl salbt und nicht zurück an das was war. Gott schenkt ihm die Würde und Ehre und als Gastgeber versorgt er ihn mit allem was er braucht und darüber hinaus – der Becher fliesst über.

Trotz Kriesen fühlt sich David reich beschenkt und er ist reich beschenkt. Können wir das auch in Zeiten der Not sagen, was David hier schreibt? Nur Güte und Gnade werden mich umgeben alle Tage meines Lebens, und ich werde wohnen im Haus des Herrn für alle Zeit? Klar ich will immer in seiner Nähe sein, doch das mit der Güte ist manchen Situationen schwierig zu erkennen. Doch ich denke es ist gerade die Einstellung zu Gott, die uns immer wieder bei ihm verharren lässt. Das wissen, dass ich bei ihm nur gutes zu erwarten habe übersteigt letztlich die Nöte die wir durchleben.

Im Übrigen erinnern mich die Worte über Gott als Gastgeber an das was Jesus sagte und mit dem will ich schliessen:

Glücklich zu preisen sind die Diener, die der Herr wach und bereit findet, wenn er kommt. Ich sage euch: Er wird sich ´einen Schurz` umbinden und sie zu Tisch bitten, und er selbst wird sie bedienen. (Lukas 12,37)

Wir dürfen uns wirklich glücklich schätzen. Jesus ist sich nicht zu schade, sich einen Schurz umzubinden, uns zu Tisch zu bitten und uns zu bedienen. Er, dem alle Ehre gebührt ist bereit uns zu dienen. Das sollte uns demütig und dankbar machen.