Heute Morgen habe ich mir zum Nationalfeiertag wieder mal unseren Schweizerpsalm zur Hand genommen und darüber nachgedacht. Dieser Psalm lässt mich immer wieder über unseren Gott staunen. Ich finde es grandios wie der Dichter Leonhard Widmer die Schöpfung mit dem Schöpfer verband und wie Alberich Zywssig (1840) dieses Lied ein Jahr später (1841) mit nur geringfügigen Abänderungen vertont hat.
Leonhard Widmer (1840) | Alberich Zywssig (1841) |
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Trittst im lichten Morgenrot daher, |
Trittst im Morgenroth daher |
Trittst im Abendglüh’n daher, |
Kommst im Abendglüh’n daher |
Trittst im grauen Nebelmeer, |
Ziehst im Nebelflor daher |
Trittst im wilden Sturm daher, |
Fährst im wilden Sturm daher |
Die Schöpfung, ein Hinweis auf Gott
Manchmal wird die Gefahr eingeräumt, dieses Lied könne auch panteistisch gedeutet werden, also im Sinne von Gott ist in allen Dingen enthalten. Dies bezieht sich vor allem auf die Version von Albrich Zywssig, der Gott im Strahlenmeer und Sternenheer nicht nur sucht, sondern sieht bzw. findet.
Doch die Psalmen der Bibel sind gefüllt von verschiedenster solcher Bilder. Wenn Gott als feste Burg bezeichnet wird, dann geht es ja nicht darum, dass Gott wortwörtlich eine solche Burg ist. Es geht bei diesen Bildern immer darum einen Wesenszug von Gott auf natürliche Weise zu umschreiben. Bei der festen Burg geht es darum, dass er stark und mächtig ist und wir bei ihm Schutz finden.
Zur Schöpfung schreibt Paulus an die Gemeinde in Rom:
Seit der Erschaffung der Welt sind seine Werke ein sichtbarer Hinweis auf ihn, den unsichtbaren Gott, auf seine ewige Macht und sein göttliches Wesen. (Römer 1,20)
Auch Leonhard Widmer ging es darum die Schöpfung mit dem Wesen Gottes zu verbinden: Er ist hocherhaben, herrlich, menschenfreundlich, liebend, unergründlich, ewig und ein Gott der nicht einfach dasitzt und zusieht, sondern (ver)waltet und rettet.
Ein Gott, der sich offenbart
In der dritten Strophe heisst es:
Ziehst im Nebelflor daher, such’ ich dich im Wolkenmeer, Dich du Unergründlicher! Ewiger!
Ja Gott oder vieles von Gott ist wirklich unergründlich und doch dürfen wir ihn immer wieder aufs neue suchen. Und in seiner Liebe offenbart er sich uns. Leonhard Widmer fasst das in die wunderschönen Worte:
Aus dem Luftgebilde Tritt die Sonne milde. Grüsset, grüssest froh das Licht, Das für euch durch Wolken bricht!
Manchmal da dringt ein Sonnenstrahl durch die Wolkendecke und wir dürfen über jede noch so kleine Erkenntnis, die wir über Gott von ihm erfahren, glücklich und fröhlich sein.
Die Auswirkungen in unserem Leben
Und der Schweizer Psalm hat auch noch eine zweites Anliegen und dieses hat mit uns zu tun. Gottes Wesen und seine Eigenschaften sollen uns nicht kalt lassen. Darum enthält er verschiedenste Aufforderungen:
beten (Strophe 1)
Das Gebet wird hier nicht primär als eine individuelle, persönliche Sache betrachtet. Der Aufruf geht an alle Schweizer und Schweizerinnen. Zu der Zeit Widmers gab es ein sehr grosses Spannungsfeld zwischen konservativen und liberalen Kräften. Die Deutungen der Bibel gingen stark auseinander, so wie sich das auch heute noch feststellen lässt. Da gab es sicher manchmal rote Köpfe. Ob das wohl Widmer gemeint hat, als er schrieb «Wenn der Firm sich rötet, betet Schweizer, betet»? Ich denke ehrlich gesagt schon, dass es darauf bezogen war. Können wir noch zusammen beten, wenn wir auch unterschiedliche Meinungen haben und in hitzige Diskussionen verstrickt sind. Finden wir darin noch den Zugang zu Gott und suchen ihn gemeinsam im Gebet?
träumen (Strophe 2)
Träumen kann man nicht nur in der Nacht. Es gibt auch Tagträumer oder Träumer die in der Nacht wach liegen und nachdenken. Doch beim träumen, da braucht man einen Rückzugsort. Ich weiss nicht wie es dir ergeht, aber in einer hektischen Situation zu träumen fällt zumindest mir schwer.
Darum hat Leonard Widmer wohl das träumen örtlich mit «in des Himmels Räumen» verbunden. Wir brauchen einen Ort, an den wir uns zurückziehen können, um uns wirklich auf Gott ausrichten zu können. Auch Jesus hatte sich oft zurückgezogen, um mit seinem Vater zu sprechen.
vertrauen (Strophe 4)
Alberich Zywssig fordert dazu auf, Gott gerade in schwierigen Zeiten, da wo Stürme toben, kindlich zu vertrauen. Leonhard Widmer gibt in der ursprünglichen Fassung noch einen wichtigen Grund dafür an:
Wenn es ringsum wittert, Berg und Tal erzittert, Fass’ ich frohen, frischen Mut, Gott, der Väter Gott, ist gut!
Gott ist immer gut, auch wenn die äusseren Umstände nicht so scheinen. Jesus hat damals bei den Jüngern den Sturm auf dem See Genezareth in die Schranken gewiesen und der Sturm hat sich gelegt. Vertrauen wir darauf, dass er es absolut gut mit uns meint und auch in unserem Leben Stürme in die Schranken weisst?
suchen und finden
Zentral im Schweizer Psalm sind die Begriffe «suchen» und «finden». Wo bei Leonhard Widmer stärker das Suchen im Vordergrund steht, da kommt bei Alberich Zywssig das Sehen und Finden stärker zum Ausdruck. Beides ist im Sinne von Jesus, denn er sagte zu seinen Zuhörern:
»Bittet, und es wird euch gegeben; sucht, und ihr werdet finden; klopft an, und es wird euch geöffnet. Denn jeder, der bittet, empfängt, und wer sucht, findet, und wer anklopft, dem wird geöffnet.» (Matthäus 7,7-8)
Lasst uns das immer wieder aufs Neue tun und erleben. Dabei spielt es keine Rolle, ob wir in hitzige Diskussionen verstrickt sind und der Firn gerötet ist und wir einfach wieder mal zusammenstehen und beten sollten, oder ob wir in den Himmels lichten Räumen aufhalten, uns zurückziehen und träumen können, oder ob wir uns mitten in einem Sturm befinden und uns ganz auf ihn vertrauen müssen, auch wenn wir das Licht am Ende des Tunnels noch nicht sehen.