Wenn wir über das Wort „Wort“ nachdenken, dann denken wir an geschriebene oder ausgesprochene Wörter. Doch im alten Griechenland wurde noch ganz anders über das Wort nachgedacht. Hinter dem Begriff λόγος „Logos“ stand ein ganzes Gedankengebäude, worüber sich schon mancher Grieche den Kopf zerbrochen hatte.

Im Prolog des Johannesevangeliums gebraucht Johannes gleich drei Mal dieses Wort.

Ἐν ἀρχῇ ἦν ὁ λόγος, καὶ ὁ λόγος ἦν πρὸς τὸν θεόν, καὶ θεὸς ἦν ὁ λόγος.

Am Anfang war das Wort; das Wort war bei Gott, und das Wort war Gott. (Johannes 1,1)

Für uns ist es nicht gleich verständlich, was mit diesem „Wort“ gemeint ist. Dahinter steckt, wie bereits erwähnt, mehr als nur ein Wort.

Der Grieche betrachte vielleicht eine Blume, ein Strauch, ein Baum, ein Tier und dann stellte er sich eine Frage: „Welcher Logos steht dahinter?“ Mit anderen Worten: „Was ist die treibende Kraft, dass diese Blume gewachsen ist?“ Oder er schaute sich die Konstelation der Sterne an und fragte sich: „Welcher Logos ist für diese Ordnung verantwortlich, dass ich mich an den Sternen orientieren kann?“ Es ist die Frage nach den Prinzipien, nach der Kraft, nach den Ursachen, die hinter diesen für uns sichtbaren Dinge stehen.

Und genau da knüpft nun Johannes an, wenn er schreibt: „Am Anfang war das Wort […]“ Jeder Grieche, der sich mit diesen Gedanken rumgeschlagen hatte, musste dabei hellhörig werden. Da geht es um meine Frage! Was für eine Antwort darf ich erwarten? Welches Prinzip steht nun hinter allem sichtbaren? Da wurde das Interesse jedes Philosophen geweckt. Und was macht Johannes? Er führt sie Schritt für Schritt zu Gott hin:

Zuerst einmal stellt er eine Verbindung zu Gott her: „[…] das Wort war bei Gott […]“ Er nimmt ihre Frage auf und stellt eine Verbindung zu Gott her. Dieser Logos war also am Anfang bei Gott. Ihre Frage hatte also was mit Gott zu tun. Doch mit welchem Gott? Sie verehrten schliesslich tausende von Göttern.

Aber dann geht er noch einen Schritt weiter. Er sagt diesen Philosophen: „[…] und das Wort war Gott.“ Das Wort war also nicht nur bei Gott, sondern es war Gott. Was er ihnen damit sagt, das ist die Antwort auf diese philosophische Frage nach den Ursprüngen und Prinzipien, die hinter allem stehen. Die Antwort auf eure Frage ist Gott. Er steht hinter dem Wachstum dieser Blume, er hat den Baum geschaffen, ebenso wie das Tier und er sorgte auch für die Ordnung im Universum, dass eine solche Orientierung möglich ist.

Das ist echt genial, denn auf drei Stufen hat Johannes diese Philosophen zu Gott geführt. Wir erinnern uns:

  1. Johannes greift ihre Frage auf: Am Anfang war das Wort (der Logos)
  2. Johannes verbindet das Wort (den Logos) mit Gott
  3. Johannes stellt das Wort (den Logos) mit Gott gleich

Doch dann kommt nochmals eine Stufe und diese ist in der deutschen Sprache etwas schwieriger darzustellen. Es geht um das was in vielen Übersetzungen so wiedergegeben wird:

οὗτος ἦν ἐν ἀρχῇ πρὸς τὸν θεόν.

Dieses war im (am) Anfang bei Gott. (Johannes 1,2)

Mit „Dieses war am Anfang bei Gott“ bezieht sich Johannes zuerst einmal auf „das Wort“. Das klingt wieder wie eine Verbindung. Doch diese hatten wir ja eigentlich schon. Muss Johannes hier nochmals eine Verbindung vom Wort auf Gott herstellen? Wir haben hier ein Problem vorliegen, das uns erst bewusst wird, wenn wir uns mit der griechischen Sprache beschäftigen. In dieser ist nämlich das Wort Logos ein maskulines Wort. Eigentlich also „der Wort“, auch wenn wir dies nicht so übersetzen können. Und so ist dann auch οὗτος (outos), welches hier die Elberfelder-Bibel mit „dieses“ wiedergibt ein maskulines Bezugswort und müsste ganz korrekt mit „dieser“ übersetzt werden. Bei uns hingegen ist das Wort Neutrum und daher geht diese Übersetzung nicht. Wir können natürlich fragen, ob das wirklich so relevant sei. Ja, ich denke schon, denn statt von einer Verbindung zwischen dem Wort und Gott auszugehen, gibt es noch eine sehr viel wahrscheinlichere Variante, welche dem Gedankengang des Johannes gerechter wird. „Dieser“ bezieht sich zwar grammatikalisch auf „Logos“. „Dieser“ kann jedoch noch eine andere Bedeutung haben. Man kann „dieser“ auch personifiziert verstehen. Und diese Deutung ist gar nicht so abwägig. „Der, der das Wort ist war am Anfang bei Gott“, übersetzt daher die Neue Genfer Übersetzung (NGÜ). Bzw.: „Er war am Anfang bei Gott (NLB).“

Damit hätte Johannes die Philosophen auf vier Stufen zu Jesus hingeführt. Warum Jesus? Weil genau er dieses Wort ist, das von Anfang an beim Vater war und dann vor rund 2000 Jahren Mensch geworden ist.

Johannes schreibt das nur wenige Verse später:

Er, der das Wort ist, wurde ein Mensch von Fleisch und Blut und lebte unter uns. Wir sahen seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit voller Gnade und Wahrheit, wie nur er als der einzige Sohn sie besitzt, er, der vom Vater kommt. Auf ihn wies Johannes die Menschen hin. »Er ist es!«, rief er. »Von ihm habe ich gesagt: Der, der nach mir kommt, ist größer als ich, denn er war schon vor mir da.« Wir alle haben aus der Fülle seines Reichtums Gnade und immer neu Gnade empfangen. Denn durch Mose wurde uns das Gesetz gegeben, aber durch Jesus Christus sind die Gnade und die Wahrheit zu uns gekommen. Niemand hat Gott je gesehen. Der einzige Sohn hat ihn uns offenbart, er, der selbst Gott ist und an der Seite des Vaters sitzt. (Johannes 1,14-18)
Hier schliesst sich dieser Gedankengang. Man könnte sagen, dass Jesus im ersten Teil des Prologs bereits erwähnt wird und er sich später durch die Menschwerdung offenbart hatte und dabei ist er der Inbegriff von Gottes Gnade und Wahrheit. Jesus, der das Wort ist – ja, der Gott in Person ist – offenbart uns den Vater.